Betreutes Wohnen in Familien

Interview mit Simon Haberkorn, dem Ansprechpartner für das neue Angebot der Lebenshilfe BGL und Leiter des Projekts

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Schon seit Jahrzehnten fördert die Lebenshilfe BGL das betreute Wohnen von Menschen mit Behinderung in Wohngruppen. Jetzt soll ein neues Projekt volljährigen Menschen mit geistiger Behinderung, eine inklusive Betreuungsform zum Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Hierbei werden Menschen mit geistiger Behinderung, die sich weitgehend selbst versorgen können, aber trotzdem nicht alleine leben wollen, von Familien, Paaren oder Alleinlebenden aufgenommen. Jede engagierte Familie, die ein leerstehendes Zimmer zur Verfügung hat, kommt also in Frage und kann den betroffenen Menschen, gegen eine Vergütung vom Bezirk Oberbayern, ein Leben in einer ganz besonderen Atmosphäre bieten.

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Was zeichnet die Lebenshilfe BGL Ihrer Meinung nach in der Arbeit mit geistig behinderten Menschen ganz besonders aus?

Bei uns steht der Mensch mit Behinderung ganz klar im Mittelpunkt. Wir bieten für jeden einzelnen Menschen passgenaue Hilfen an, die auf all seine Bedürfnisse und Bezüge Rücksicht nehmen. Besonders wichtig ist uns, dass Menschen mit Behinderung nicht nur nach ihren Defiziten bewertet werden, sondern dass wir auch all die wundervollen Ressourcen, die diese Menschen zu bieten haben, erkennen und nutzen.

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Wie kann man sich eine individuelle Betreuung bei Ihnen vorstellen?

Wir legen viel Wert auf Mitwirkung sowie Mitbestimmung und schaffen, so gut wie möglich, Wahlmöglichkeiten für unsere Klienten. Sie haben also immer die Möglichkeit, mitzusprechen, und so wird auch bei der Erstellung des individuellen Hilfe- und Entwicklungsplans, den es für jeden Klienten bei uns gibt, niemals einfach über seinen Kopf hinweg entschieden. Unsere Vorstellungen und Ziele von einem erfüllten Leben sind nicht immer die gleichen wie jene, die ein Mensch mit Behinderung hat, darum sehen wir uns eigentlich nur als Wegbegleiter und weniger als jemanden, der vorgibt, wie das Leben eines anderen Menschen zu verlaufen hat. Das steht uns einfach nicht zu. Wir sehen den einzelnen Menschen mit seinen Wünschen, Zielen und Vorstellungen, der bei uns ausschließlich selbst über den Verlauf seines Lebens bestimmt.

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Eine große Aufgabe oder?

Mit Sicherheit, ja, aber es ist auch eine Aufgabe, die Spaß macht und zweifelsohne mit vielen positiven Momenten verbunden ist.

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Seit ein paar Monaten bietet die Lebenshilfe BGL ein neues Projekt an, das unter Ihrer Leitung steht, das Betreute Wohnen in Familien (BWF). Wie kam es zu diesem neuen Angebot?

Das BWF wurde nicht von uns erfunden. Betreutes Wohnen gibt es schon seit Jahrzehnten in den verschiedensten Formen. Wir möchten Menschen mit Behinderung mit dem Betreuten Wohnen in Familien eine weitere Möglichkeit zur Inklusion in der Gesellschaft anbieten. Unsere Lebenshilfeeinrichtungen sind generell offene Einrichtungen und sozialräumlich orientiert, aber das Leben in der Gastfamilie bietet den Menschen mit Behinderung noch einmal ganz neue Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Das ist aber auch nicht für jeden etwas, und so können unsere Klienten für sich selbst entscheiden, ob sie dieses Angebot nutzen möchten oder ob sie lieber stationär oder ambulant bei uns in der Lebenshilfe betreut werden wollen.

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Welche Erfahrungen konnten Sie denn bis jetzt machen? 

Es gibt dieses Projekt für Menschen mit psychischer Erkrankung in unserem Landkreis schon seit ein paar Jahren. Wir von der Lebenshilfe Berchtesgadener Land betreuen dieses Angebot für geistig Behinderte jetzt seit Januar dieses Jahres. Am Anfang ist es natürlich schwierig, erst einmal auf ein neues Projekt aufmerksam zu machen und Familien zu finden, die es sich vorstellen können, einen Menschen mit Behinderung aufzunehmen. Aber so langsam kommt alles – momentan betreuen wir vier Familien – ins Rollen.

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Wie verläuft denn so ein Verfahren Schritt für Schritt?

Wenn sich eine Familie, oder eine andere Form der Wohngemeinschaft, bei mir für die Aufnahme eines Menschen mit Behinderung bewirbt, erstelle ich einen Steckbrief, der ihre Möglichkeiten und Wünsche enthält. So entsteht bei mir nach und nach ein Pool von Gastfamilien, aus dem ich nach verschiedenen Kriterien auswählen kann. Ich setze mich dann mit dem Menschen mit Behinderung zusammen und bespreche mit ihm seine persönlichen Präferenzen und Vorstellungen. Ich versuche immer, eine möglichst große Schnittmenge zwischen der Gastfamilie und den Wünschen und Bedürfnissen des Gastes ausfindig zu machen. Wenn ich dann sehe, dass alles passt, organisiere ich ein erstes, unverbindliches Kennenlernen auf neutralem Gebiet, bei dem sowohl Gastfamilie, als auch Klient feststellen können, ob eine gewisse Sympathie zwischen ihnen herrscht. Der Mensch mit Behinderung hat dann natürlich auch die Möglichkeit, sich den zur Verfügung stehenden Wohnraum anzusehen. Wenn alles in Ordnung ist, findet ein mehrtägiges Probewohnen statt. Und wenn danach immer noch alles passt, dann starten wir das Projekt. Dabei bin ich Ansprechpartner sowohl für die Gastfamilie, als auch für den betreuten Gast. Gerade die ersten Wochen und Monate begleite ich die Wohngemeinschaft sehr intensiv, um sicherzustellen, dass sich beide Partner wohlfühlen und beiderseits ein gutes Verhältnis besteht.

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Gibt es gewisse Grundkriterien, die man erfüllen muss, um einen Menschen mit Behinderung aufnehmen zu können?

Bis auf die Privatsphäre, die durch einen abgetrennten Wohnraum gegeben sein muss, eigentlich nicht. Wie bereits gesagt, sind die Bedürfnisse und Wünsche von Mensch zu Mensch unterschiedlich, und so müssen auch die Gegebenheiten auf diese abgestimmt werden. Je mehr Angebote ich in meinem Pool habe, desto einfacher ist es für mich  passende Gastgeber zu finden.

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Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Vorteile, die das BWF zu bieten hat?

Zuallererst möchte ich dazu sagen, dass es in meinen Augen keinerlei Wertigkeit bei den verschiedenen Betreuungsangeboten für Menschen mit Behinderung gibt. Unsere Klientel enthält so viele verschiedene Abstufungen der Behinderung, und jeder Mensch hat andere Bedürfnisse und Möglichkeiten. Daher ist es für den einen vielleicht eine super Sache, in eine private Wohngemeinschaft zu ziehen, und für den anderen wäre es überhaupt nichts, weil er seine freie Zeit lieber in Ruhe alleine verbringt oder schlicht und einfach auch nicht dazu fähig ist, diesen Schritt in Richtung mehr Selbstständigkeit zu gehen. Sowohl das stationäre Wohnen, sowie das ambulant unterstützte Wohnen, als auch das Wohnen in Familien hat für jeden einzelnen Menschen mit Behinderung Vor- und Nachteile. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welche Wohnsituation für ihn die Beste ist. Auf der anderen Seite bietet das BWF auch für die Gastgeber Vorteile. Beispielsweise möchte eine rüstige Rentnerin am Abend vielleicht nicht immer alleine sein und würde sich über jemanden, mit dem sie „Mensch ärgere dich nicht“ spielen und sich unterhalten kann, freuen. Ein Mensch mit Behinderung hat oft auch ganz tolle zwischenmenschliche Werte zu vermitteln und kann neuen Schwung in das Leben bringen.

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Gibt es Situationen oder Bereiche im Alltag mit Menschen mit Behinderung, bei denen der Gastgeber zurückstecken muss?

Von Anfang an müssen unter den Beteiligten deutlich die Grenzen abgesteckt werden. Genauso, wie die Gastfamilie sagen kann, „Du bist in unserem Alltag immer willkommen, aber ab und zu brauchen wir auch mal Zeit für uns alleine“, kann der Gast klarstellen, dass er gerne mit der Familie am Sonntagnachmittag mal einen Spaziergang machen möchte, aber nicht bei jedem Besuch bei den Verwandten dabei sein muss. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Grenzen, die es im Wohnraum einzuhalten gilt. Die Gastgeber müssen von Anfang an erklären, welche Bereiche der Gast mit ihnen zusammen nutzen darf, wo sein Rückzugsort ist und wo ihre Privaträume sind. Und ich glaube, wenn solche Dinge schon zu Beginn geklärt werden, gibt es keine Bereiche, in denen der Gastgeber zurückstecken muss.

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Welche Wünsche und Ziele haben Sie denn für die Zukunft Ihres Projektes?

Unser Ziel ist es, dieses Projekt bei den Menschen in unserer Region bekannter zu machen und darüber aufzuklären, worum es sich dabei genau handelt. Dadurch wollen wir erreichen, dass 2016 fünf Menschen mit Behinderung in Gastfamilien untergebracht sind.

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Wir bedanken uns für das tolle Interview und wünschen Ihnen für die Zukunft nur das Beste!

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Kontakt und Informationen: Lebenshilfe Berchtesgadener Land e.V., Holzhausener Straße 13, 83317 Teisendorf, Tel.: +49 8666 9882-0

E-Mail: info@lebenshilfe-bgl.de, Web: www.lebenshilfe-bgl.de



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